Es war eine feucht neblige Nacht. Joe lief mit Anubisdos durch den Hyde Park. Er wollte und wollte nicht nach Hause und so kamen die beiden immer tiefer in das kleine Wäldchen hinein. Joe spürte die Feuchtigkeit bis in die Knochen. Was um Himmels Willen machte sie nachts alleine im Hyde Park? Abseits der Wege in einem düsteren Waldstück? Sie war wohl völlig verrückt geworden. Hoffentlich gab es nicht noch mehr Wesen, die im Dunklen hier entlang wanderten! Sie konnte kaum weiter als zwei Armlängen sehen, aber trotzdem erkannte sie diesen Platz. Hier hatte sie gestern Benu beim Kampf gegen das Unsichtbare beobachtet. Obwohl der Vollmond schien hüllte sie der Nebel in eine wässrige Wolke, die ihr die Sicht nahm. Weiter vorne hörte sie Anubisdos, der angefangen hatte hysterisch zu bellen, wie neulich vor den eingepackten Palmen. Er klang ängstlich, aufgeregt, fast schon verzweifelt. Wo war er und was hatte er gesehen? Joe hatte ihn vollkommen aus den Augen verloren. Fast schon panisch versuchte sie ihren Hund zu finden. Sie wollte ihn rufen, doch nur ein Krächzen verließ ihre Stimmbänder. Sie vibrierten im Rhythmus ihrer Zitterbewegung, die ihren ganzen Körper überzog. Joe zuckte zusammen. War es ein Zufall, ein Hirngespinst oder trug dieser Stein wirklich die Form einer Urne? Das ganze Waldstück war übersät mit Trauerweiden. Joe konnte kaum unter ihnen durchlaufen. Die langen, dünnen Äste streiften ihr Gesicht. Eine kurze, aber unangenehme Berührung, die an Schlangen erinnerte. Joe stellte sich vor, wie sie langsam ihren Hals entlang glitten, in der Absicht, sich gleich schlagartig zuzuziehen und sie zu erwürgen.
Sie starb fast vor Angst. Verzweifelt wollte sie sich rückwärts aus dem Wald zurückziehen, aber nicht ohne ihren Hund. „Anubisdos“, flüsterte sie. „Hierher.“ Ihre Stimmbänder verweigerten weiterhin den Dienst. Das Mondlicht versuchte, den dichten Nebel zu durchdringen, und Joe aus ihrer wässrigen Wolke zu befreien. Vor ihr öffnete sich eine kleine Lichtung. In deren Mitte konnte sie die Umrisse eines gut gebauten, großen Mannes erkennen, der mit dem Rücken zu ihr stand. Er war es, der Anubisdos so außer Fassung gebracht hatte. Immer noch bellend verharrte ihr Hund neben ihm. Doch die Gestalt schenkte ihm keinerlei Aufmerksamkeit. Joe wusste sofort, wen sie hier vor sich sah. Es war Benu. Was um Himmels Willen machte er hier? Er hatte keinen Hund und somit auch keinen Anlass, nachts spazieren zu gehen. Oder doch? Hatte er etwas zu verbergen? War er auf der Flucht? Kam er zu einem geheimen Treffen? Einem Treffen mit ihr? Warum konnte sie nicht einfach fortrennen oder schreien? Sie schaffte es nicht einmal, ihre Stimmbänder vibrieren zu lassen. Ihr Körper reagierte auf keinerlei Befehle. Die Kälte und die Feuchtigkeit waren in ihre Knochen gekrochen und zusammen hatten sie es geschafft, die Flüssigkeit in ihrem Körper zum Erstarren zu bringen. Sie war innerlich gefroren. In diesem Moment brach der Nebel auf. Das Mondlicht durchdrang die Finsternis und beleuchtete Benu wie ein Spotlight. Joe spürt, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmte. Während der in Schwarz gehüllte Körper ihr vertraut vorkam, fehlte irgendetwas an seinem Kopf. Etwas, aber was? Langsam, ganz langsam wandte er ihr sein Gesicht zu. Oh mein Gott, oh mein Gott! Sie wurde von einem kalten Grauen gepackt! Es war nicht mehr da! Sein Gesicht war nicht mehr da. Übrig geblieben war ein knochiger Schädel, überzogen mit einer alten ledrigen Haut. Auf seiner Schädeldecke ruhte eine eigenartige, schüsselförmige Kopfbedeckung. Eine tiefe Furche über der linken Augenhöhle schlängelte sich von der Stirn zum Auge. Dort, wo sich früher seine hübschen braunen Augen befunden hatten, leuchteten jetzt zwei kalte ausdruckslose Glaskugeln. Seine Nase bestand nur noch aus einem gebrochenen Knochenteil. Und das Schlimmste! Er kam näher, immer näher. Joe roch bereits den Geruch nach Wald. Sie schaffte es nicht länger, in das Überbleibsel seines Gesichtes zu blicken. Es war der blanke Horror. Benu würde sie töten! Gleich würde er sie töten. Schließlich konnte er sie nicht leiden. Sie war minderwertig, eine Kellnerin! Ein eiskaltes Lachen klang aus den tiefsten Tiefen dieser Erde zu ihr hinauf. Dann gab es einen lauten Schlag.
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